Interview mit den Liberalen Hochschulgruppen
Czwikla: Lieber Johannes, Danke, dass du dir Zeit genommen hast. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, und die häufigsten Fragen und die gewichtigste Kritik an der Kampagne des LHG
zusammenzutragen. Bist du als Vorsitzender des Verbandes bereit, dazu Stellung zu beziehen?
Dallheimer: Selbstverständlich, die Zeit nehme ich mir gerne! Los geht’s.
1. Der LHG fordert nachgelagerte Studienbeiträge – was darf man sich darunter vorstellen? Genau das tun wir. Wenn wir uns die Hochschulen ansehen, sehen wir oft marode Gebäude, vergammelte
Toiletten, veraltete Ausstattung. Tagtäglich führt uns das vor Augen, wie unterfinanziert unser Bildungssystem ist. Das wollen wir ändern. Wir fordern stabile Ausfinanzierung – und nachgelagerte
Studiengebeiträge sind ein Teil davon. Kurz erklärt: Die Hochschule erhebt einen Beitrag pro Semester, der allerdings erst nach Abschluss des Studiums zu zahlen ist und nur dann, wenn man
überdurchschnittlich verdient. Das Geld kommt direkt den Hochschulen zu gute. Genau diese Art umgekehrter Generationenvertrag ist für uns das fairste Modell, denn wir meinen: Es kann nicht sein,
dass die Kassiererin im Supermarkt unser Studium bezahlt und wir im Durchschnitt danach besser verdienen. Das hat nichts mehr mit Respekt zu tun. Darum treten wir so entschieden für dieses Thema
ein.
2. Studiengebühren stellen doch eine finanzielle Zugangshürde zum Studium dar. Wie könnt ihr das verantworten?
Nein. Wir sprechen uns klar gegen jede Studiengebühren aus, die Studierende während dem Studium belasten und so Talente sogar von den Hochschulen aus finanziellen Gründen abhalten könnten.
Stattdessen wollen wir, dass die Beträge erst beim Überschreiten einer Einkommensgrenze nach dem Studium zurückzuzahlen sind. Absolventen, die niemals so viel verdienen, zahlen nichts.Tatsächlich
wäre das sogar eine Art Steuererhöhung, darum wundert es uns immer wieder, dass gerade linke Gruppen dagegen sind. Aus objektiver Sicht kaum erklärbar.
3. Ist der Verwaltungsaufwand nicht viel zu hoch, wenn jede Hochschule selbst ihre Beiträge erhebt?
Tatsächlich nicht. Denn die Hochschulen müssen die Daten sowieso erheben und wissen am besten, welche Semester nun angerechnet werden und welche nicht. Natürlich muss es dazu eine Kooperation
mit dem Finanzamt geben, aber wir glauben, dass sich durch diesen Austausch Fehler minimieren lassen und der Verwaltungsaufwand gering bleibt.
4. In euren Forderungen ist die Rede von einem „elternunabhängigen BAföG“ – wie sieht das genau aus?
Der LHG sieht Bildung, gerade in einem so rohstoffarmen Land, als Investition in die Zukunft an. Studierende, also der wissenschaftliche Nachwuchs unseres Landes, dürfen während ihrer
akademischen Ausbildung gerade nicht noch zusätzlich mit Geldsorgen konfrontiert werden. Darum fordern wir das elternunabhängige BAföG, 500 Euro für jeden Studierenden, das auch nicht
zurückbezahlt werden muss.
5. Wie wollt ihr euer „BAföG für alle“ eigentlich finanzieren? Wie hoch werden die Kosten sein?
Sicher werden die Kosten erstmal höher sein, dass betrifft aber prinzipiell den Bildungsbereich, denn hier muss investiert werden. Ich glaube, dass vor allem durch die Abgaben der späteren
Akademiker wieder ein Großteil ausfinanziert wird. Als Liberaler sage ich aber auch, lieber mehr in Bildung investieren und nicht auf 0 rauskommen – und dafür in Bereichen kürzen, die nicht
Aufgabe des Staates sein sollten. Somit ist Investition und Steuersenkung auch kein Widerspruch.
6. Wenn man das BAföG „einfach so“ bekommt, produziert man damit nicht Langzeitstudierende ohne Ende?
Wer lange studiert, hat auch am Schluss einen höheren Betrag den er nachgelagert durch Studiengebühren zurückzahlen muss. Das macht das ganze unattraktiv. Aber natürlich, manche schaffen es
immer, das System auszutricksen, dem muss man sich bewusst sein.
7. Ihr fordert eine Beibehaltung des Deutschlandstipendiums – wie funktioniert das überhaupt?
Das Deutschlandstipendium ist ein Stipendium, dass zur Hälfte vom Staat und zur Hälfte von privaten Unternehmen bezahlt wird. Es soll vor allem dazu dienen, Talente in Kontakt mit Unternehmen, vor allem dem Mittelstand aus der Region, zusammen zu bringen. Daher halten wir diese Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft für essenziell, wenn wir zukunftsfähig bleiben wollen!
8. Stipendien sorgen doch dafür, dass sich Eliten bilden. Ist das in eurem Sinne?
Das ist mir zu platt. Manche sagen, schon wer auf die Uni geht, ist Teil einer Elite. Ich würde hier lieber über Talente sprechen, die unbedingt gefördert werden müssen. Ja, möglicherweise
sind sie danach Teil einer Wissenschaftselite, aber das finde ich auf keinen Fall verwerflich, sondern im Gegenteil überlebenswichtig für unsere Zukunft, unsere Innovationskraft und damit unseren
Wohlstand.
9. Das Deutschland-Stipendium wird für Leistungsstärke vergeben – bleibt dabei nicht die Selbstverwirklichung im Studium auf der Strecke?
Die Selbstverwirklichung im Studium hängt nun wirklich nicht vom Stipendium ab, sondern von der privaten Zeiteinteilung. Ich glaube sogar, das die Unterstützung durch das Stipendium zusätzlich Entlastung bringt, die man dann zur Selbstverwirklichung nutzen kann.
10. „Digitalisierung“ steht in eurem Programm – das ist noch reichlich unkonkret. Was genau fordert ihr denn, was stellt ihr euch darunter vor?
Leider geht es hier nicht nur im Details, sondern um Grundsatzfragen, darum bezeichnet das Wort „Digitalisierung“ schon konkret unser Ziel. Aber natürlich teilen wir das noch auf. Es geht um
ein stabiles Internet, mit dem man in der Universität auch mit vielen Studierenden arbeiten kann. Wir wollen eine bessere technische Ausrüstung, um mit den modernsten Mitteln Wissenschaft zu
vermitteln. Und wir wollen ein flexibles Studium, was bedeutet, dass es auch alle Lernmaterialien online verfügbar gibt. Studierende, die sich um Kinder kümmern dürfen, Angehörige pflegen müssen
oder ein Start-Up gründen, müssen zu jeder Tages- und Nachtzeit lernen können. Dazu braucht es vernetzte Systeme und Videoaufzeichungen der Vorlesungen.
11. Sorgt ein immer digitaleres Studium nicht dafür, dass niemand mehr zu den Veranstaltungen geht?
Das glaube ich kaum. Ich habe letztens mit Studierenden gesprochen, die in großen Teilen bereits schon online alles bekommen können. Das ist zwar die Ausnahme, aber es kommt tatsächlich schon
vor. Die meinten zu mir, dass das Onlineangebot nur ein Zusatz sein kann. Denn Interaktionen, zum Beispiel, den Professor etwas zu fragen oder klassische Lerngruppen mit Abfragen, das geht am
besten in der Uni und nach der Vorlesung. Ich sehe die Zukunft weiterhin in einem Unigebäude, sonst wären Fernunis schon heute überlaufen.
Czwikla: Danke für das Gespräch!
Dallheimer: Gerne!
Dankbarkeit - das Asylrecht
Eine Antwort auf ein Essay in der ZEIT von Jochen Bittner mit dem Titel "Das Gegenteil von Dankbarkeit" über die Asyldebatte
Es gibt Artikel, die vergisst man direkt nach dem Lesen wieder. Es gibt Artikel, die man so brillant findet, dass man sie sofort teilt. Und dann gibt es Artikel, die man einfach nicht unkommentiert lassen möchte. So geschehen mit einem Essay in der ZEIT mit dem Namen „Das Gegenteil von Dankbarkeit“ von Jochen Bittner – ein Artikel, der von Ressentiments nur so strotzt. Dabei wäre gerade jetzt ein kühler Kopf angesagt. Ein Versuch:
In einem ist Bittner konsequent. Schon im Einleitungstext schlägt er vor, über eine andere Asylpolitik nachzudenken. Während Politiker konservativer Parteien dies auch täglich fordern, in Berlin allerdings die bereits existieren mit zu verantworten haben, geht der Autor einen Schritt weiter, fordert den kompletten Umbruch und spricht zuerst über Dankbarkeit. Wenn ich an Dankbarkeit denke, dass fällt mir dazu vieles ein. Dankbar bin ich meinen Eltern, für ihre Erziehung und für ihren Rückhalt. Dankbar bin ich aber auch, wenn mir an der Bar die Bedienung nach 15 Minuten endlich mein Getränk bringt. Man sieht, der Begriff ist dehnbar. Bittner spricht also von Dankbarkeit. Es wäre ja das Mindeste, dankbar zu sein, meint er, wenn jemand als Flüchtling in die Festung Europa gelassen wird. Mal abgesehen davon, dass der Geflüchtete wohl eher dankbar darüber ist, überhaupt noch am Leben zu sein, schadet Dankbarkeit sicher auch nicht im weiteren Verlauf. Also geschenkt. Nun, so stellt er fest, sind nicht alle Flüchtlinge dankbar. Manche sollen Anschläge planen, andere zünden Obdachlose an. Der geneigte Leser wird wütend. Menschen kommen in unser Land und gefährden dessen Bürger? Da kann etwas nicht stimmen.
Daraus leitet er auch gleich eine zweite Überlegung ab. Es sind eigentlich gar nicht alle Flüchtlinge, die uns Probleme bereiten. Sondern es ist vor allem eine Gruppe von Flüchtlingen, die das
Abendland bedrohen, die nichts weiter planen, als sich hier in die Luft zu jagen. Es sind die Moslems.
Bittner spannt einen weiten Bogen, bis er mokiert, dass Einwanderungsrecht und Asylrecht kaum auseinander zu halten sind. Als Beweis vermischt er es gleich selber. Er spricht davon, dass jedes
Land aussuchen dürfe, wer zuwandern darf. Dagegen ist auch nichts auszusetzen, ist es doch das Grundverständnis eines Zuwanderungs-gesetz. Doch hat das nichts mit dem Asylrecht zu tun, denn wer
Asyl bekommt, sucht nicht der deutsche Staat aus, sondern legen die Maßstäbe der Genfer Flüchtlingskonvention fest. Zynischer Weise gibt es gerade in Deutschland auch gar nichts zu vermischen,
weil es ausgerechnet die Christdemokraten sind, die sich gegen ein Einwanderungsgesetz und damit gegen geordnete Zuwanderung einsetzen. Verkehrte Welt.
Zuletzt stellt er seine Lösungen vor. Diplomaten sollten die Menschen in den Flüchtlingslagern außerhalb Europas herausfiltern, die Europa nutzen könnten. Übersetzer beispielsweise, Ärzte und Ingenieure. Damit verunstaltet Bittner das Asylrecht völlig – oder zeigt, dass er es nicht verstanden hat. Genau das könnte der Grund sein, wieso er dennoch so viel Zuspruch bekommt. Das westliche Abendland, das gerade diese Gruppen beschützen möchten, ist nach den christlichen Werten aufgebaut. Barmherzigkeit, Nächstenliebe. Daher rührt auch die Definition des Asyls. Menschen, die zuhause verfolgt werden, etwa wegen ihrer politischen Einstellung oder Sexualität, sollen vorübergehend Schutz bei uns finden, ganz deutlich gilt das für alle, nicht nur denen mit nützlichen Berufen. Damit ist rechtlich auch keine Obergrenze möglich. Diese kann es nur in einem Einwanderungsgesetz geben, das nichts mit dem Asylrecht zu tun hat. Stattdessen rührt er tief in der brauen Suppe, stellt erst Flüchtlinge mit Terroristen gleich, meint dann aber doch nur Moslems. Er nimmt Ängste auf, lenkt sie auch auf selbst ausgemachte Schuldige und vereinfacht so die Realität dermaßen, dass es leicht fällt, ihm einfach zu glaube, um sich selber nicht anstrengen zu dürfen. Das macht wohl gute Propaganda aus.
Die Veröffentlichung dieses Artikels zeigt zugleich wie verroht die Medienlandschaft geworden ist. Man überlege sich nur, welchen Skandal, und damit meine ich einen handfesten Skandal, keinen inszenierten Shitstorm im Netz; wenn jemand nicht über Moslems gesprochen hätte, sondern über Juden. Wenn jemand öffentlich darüber sinnieren würde, ob Juden nicht ein Problem für die deutsche Gesellschaft wären. Wenn jemand Leute verurteilen würde, nicht nach Charakter, sondern nach Religions-zugehörigkeit. Wir sollten eigentlich aus der Geschichte gelernt haben. Doch wir fangen genauso nochmal an - Medien, Parteien, die Gesellschaft spielen mit.
Und so kommen wir auf das Thema Dankbarkeit zurück. Bittner, davon kann ich ausgehen, ist Deutscher, irgendwo aus dem Norden. Armut, Krieg, Verfolgung - im Vergleich zu Syrien, Afghanistan und Nordafrika nicht vorhanden. Wie dekadent muss man sein, dies alles auszublenden, sich als das Opfer zu inszenieren, dem von Flüchtlingen die Lebensgrundlage genommen wird und es als Verdienst zu feiern, Europäer zu sein, denen Flüchtlinge gefälligst dankbar sein müssen? Sollte nicht eher der Autor dankbar sein, dieses große Glück zu haben, zufällig in einem der reichsten und sichersten Länder zu leben und aus den christlichen Werten, die er verteidigen möchte, zumindest versuchen, so vielen Verfolgten zu helfen, wie möglich? Liegt nicht gerade hier die größte Undankbarkeit vor, genau von denen, die hier alles haben und damit nie zufrieden sind?
Für die weitere Debatte würde ich mir weniger Ängste, mehr Optimismus wünschen. Erst so können wir die beste Lösung für unser Land finden.
Johannes Dallheimer